Es widerspricht dem Klischee der Wiener Heurigenseligkeit nur auf den ersten Blick, dass Wienerinnen und Wiener gern wandern. Besonders gern wandern sie nämlich dort, wo sie nach getaner Bewegung an frischer Luft beim Heurigen ausruhen können. Bisamberg, Kahlenberg und Leopoldsberg bieten sich dafür ebenso an wie der Maurer Wald. Auch in Ottakring und am Laaer Berg sind genug Labstellen vorhanden, weshalb die dortigen Wiener Stadtwanderwege auch stets gut besucht sind.
Nun macht im Frühjahr 2020 das Coronavirus auch durch diese Vergnügen einen Strich: Heurige und Gasthäuser sind geschlossen und wir sind angehalten, uns tunlichst nur mit Hausgenossen im Freien aufzuhalten und zu allen anderen Passanten einen gehörigen Abstand einzuhalten. Wer mag sich da auf einen schmalen Waldweg begeben?
Auf der Suche nach einem wenig begangenen Weg bin ich auf den Stadtwanderweg Nr. 10 gestoßen: Der 7,5 km lange Franz-Karl-Effenberg-Wanderweg *) in Donaustadt, dem 22. Bezirk, sollte den Anspruch an Frequenzarmut mit Leichtigkeit erfüllen. Ausgangspunkt ist der Friedhof Breitenlee, danach geht es zunächst den die Reststoffdeponie **) Rautenweg begleitenden Fußweg entlang und weiter durch eine Art Stadtwildnis und Felder. Das letzte Stück wird auf dem Breitenleer Abschnitt des die Stadt umrundenden rundumadum-Wanderwegs absolviert, um schließlich wieder im Ortszentrum von Breitenlee zu landen.
Das Kartenstudium versprach also durchaus wenig Liebreiz, dafür auch wenig Mitwandernde. Wie gemacht für die Tage des Abstandhaltens. Die Mund-Nasen-Schütze verwahrten wir getrost in der Tasche, als der Mann und ich vom Parkplatz beim Friedhof losstapften, zunächst durch Felder und Wohnbauten eine Vorstadtstraße entlang, von der wir in den Rautenweg-Fußweg abbogen. Dort lugte hinter Dornengebüsch der Hügel der Wiener Reststoffdeponie hervor, rechts besprühten uns die Bewässerungsschläuche der Felder. Zum Glück war es ein warmer Tag.
Ab da hörte allerdings unser Geunke über die ländlichen Ausläufer der Stadt und ihre Fadesse schlagartig auf. Der Weg entzückte uns einerseits mit allerlei Getier (Reh über Felder hüpfend, Ziegen auf der begrünten Deponie, ein fetter Fasan hinterm sicheren Zaun des MA48-Geländes (Abfallwirtschaft, Straßenreinigung und Fuhrpark der Gemeinde Wien), Krähen und ein – vermuteter – Habicht (oder Bussard oder… In Raubvogelerkennung sind wir nicht ganz so fit). Andererseits überraschte er uns mit der Idylle der nur wenige Meter neben dem Stadtwanderweg wie verzaubert daliegenden Paxteichen, in einem lichten Wäldchen, schilfumrahmt und von Enten sanft beschaukelt.
Manche Wegstücke waren zugegebenermaßen eher monoton und am Ende haben wir gar eine Abzweigung versäumt, was uns statt eines (wie wir rückblickend erkannten) schönen Abschnitts des rundumadum-Wanderwegs zwei zusätzliche Kilometer der Straße entlang eingetragen hat. Selber schuld, der Weg ist nämlich bestens ausgeschildert.
Fazit: Die Reise nach Breitenlee lohnt sich. Entdeckungen „off the beaten track“ sind garantiert. Es gibt dort auch Gasthäuser für die Labung nach dem Wandern, wenn sie nicht gerade coronabedingt geschlossen sind.
*)Franz-Karl Effenberg (1948 – 2005) war Wiener Landtagsabgeordnete der SPÖ, Bezirksrat, Bezirksvorsteher im 22. Bezirk und Vorsitzender der Wiener Naturfreunde. Er ist auf dem Friedhof Breitenlee begraben.
**) Die Deponie Rautenweg dient der grundwassersicheren Lagerung von aufbereiteten, geruchlosen Reststoffen aus den Wiener Müllerverbrennungsanlagen. Mit ihrer steppenartigen Beschaffenheit ist sie Lebensraum für eine Reihe von Tieren und Pflanzen. Die Deponie Rautenweg kann von Mai bis Oktober besichtigt werden.
INFO: Aus der Geschichte von Breitenlee
Breitenlee wurde im 12. Jahrhundert gegründet und kam im Jahr 1200 in den Grundbesitz des Schottenstifts.
In der ersten Türkenbelagerung 1529 wurden alle Bewohnerinnen und Bewohner von Breitenlee getötet. Es dauerte bis nach der zweiten Türkenbelagerung (1683), bis das Dorf wieder aufgebaut wurde. Die barocke Breitenleer Pfaffkirche ist der Heiligen Anna gewidmet und hat als einzige Kirche im Marchfeld zehn Meter hohe Türme.
Breitenlee ist ein Teil des 22. Wiener Bezirks. Im Jahr 1938 nach dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich wurde die bis dahin selbstständige Gemeinde gemeinsam mit anderen schon früher eingemeindeten Orten und einigen weiteren Marchfeldgemeinden zum riesigen 22. Bezirk Groß-Enzersdorf des nationalsozialistischen Groß-Wien zusammengefasst. Heute trägt der 22. Bezirk den Namen Donaustadt und Groß-Enzersdorf wurde 1945 wieder eine selbstständige Gemeinde.
Am Beginn des 20. Jahrhunderts planten zunächst noch Österreich-Ungarn und dann die Erste Republik den Bau eines gigantischen Verschiebebahnhofs. Mit 100 Gleispaaren wäre er der größte Bahnhof Europas geworden. Die Bauarbeiten begannen noch während des Ersten Weltkriegs mit massivem Einsatz von Kriegsgefangenen. In den Wirtschafts-Krisenjahren der Nachkriegszeit wurden sie 1925 eingestellt. Das Projekt wurde nicht wieder aufgenommen. Das Gebiet des geplanten Bahnhofs wurde in den 90-er Jahren zur Stadtwildnisfläche erkärt und 2015 in das Landschaftsschutzgebiet Donaustadt eingegliedert. Es gilt als eines der artenreichsten Biotope Wiens.
INFO: Wandern in Wien: die Wiener Stadtwanderwege
Wien ist in vielerlei Hinsicht eine Grüne Stadt. Die Hälfte des Stadtgebiets besteht aus Grünflächen und dieser Freiraum in der Stadt wird von den Wienerinnen und Wienern gern zur Freizeitgestaltung genützt.
Selbst wenn uns Menschen aus den ländlicheren und vor allem gebirgigeren Bundesländern dafür oft belächeln, dass wir in Wien wandern oder gar einen unserer „Berge“ besteigen würden, gehören diese Unternehmungen fix zu den Freizeitfreuden von uns Wienerinnen und Wienern. (Zugegeben: Als Teenager eher waren es für mich eher Freizeitleiden, wenn die ambitionierte Frau Mama wieder einmal zum sonntäglichen Wandern aufgerufen hat und ich dafür zu unchristlicher Stunde schon mein Bett verlassen sollte.)
Die Stadt Wien hat 12 beschilderte und von öffentlicher Hand gepflegte Stadtwanderwege angelegt. Ihre Anfangs- und Endstellen sind mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbar.
Achtung: Die Nummerierung geht nur bis 10, die Stadtwanderwege 1 und 4 haben jeweils eine Variante unter den Nummern 1a und 4a.
Der Wanderweg am Laaerberg ist mit 15 Kilometern der längste, der Wanderweg Nr. 10 in Donaustadt mit 7 der kürzeste.
Die Stadtwanderwege werden auch am Mobilen Stadtplan der Stadt Wien angezeigt.
Die Routen, die Anbindung an die öffentlichen Verkehrsmittel sowie an der Strecke gelegene Möglichkeiten zur Einkehr finden sich im Internet ebenso wie die Stempelstellen für den Wanderpass. Ja, auch sowas gibt es bei uns in Wien!
Fleißige Stadtwandersleute werden für drei Stempel mit der silbernen Wandernadel ausgezeichnet, die goldene Nadel gibt es für sieben absolvierte Wienwanderungen. Die Wandernadeln können unter Vorlage der gestempelten Wanderpässe in der Stadtinformation – Stadtservice Wien im Rathaus abgeholt werden.
Eine Besonderheit stellt der rundumadum-Wanderweg dar; „rundumadum“ sagen wir in Wien, wenn wir „rundherum“ meinen. Wer auf diesem aus 24 Etappen, die rund um Wien führen, zusammengesetzten Wanderweg fünf Abschnitte absolviert hat, hat sich für die rundumadum-Wandernadel qualifiziert.
Der rundumadum-Wanderweg ist insgesamt 120 Kilometer lang, die einzelnen Etappen drei bis zehn Kilometer, die sind ebenfalls alle mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbar.
Auch der rundumadum-Wanderweg kann am Mobilen Stadtplan verfolgt werden.